Das deutsche Erbschaftsteuerrecht ist in regemäßigen Abständen Gegenstand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Betroffen sind zumeist Sachverhalte mit Auslandsbezug, bei welchen erbschaftsteuerliche Vergünstigungen ausländischen Erben oder Beschenkten nicht oder nur in eingeschränktem Umfang gewährt werden. Diese Abhandlung möchte einen Überblick über den aktuellen Stand der Dinge geben.
Von Prof. Dr. Maximilian A. Werkmüller, Professor für Finanzen und Family Office Management an der Allensbach Hochschule
Das deutsche Erbschaftsteuerrecht ist in regemäßigen Abständen Gegenstand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Betroffen sind zumeist Sachverhalte mit Auslandsbezug, bei welchen erbschaftsteuerliche Vergünstigungen ausländischen Erben oder Beschenkten nicht oder nur in eingeschränktem Umfang gewährt werden. Dass solche Regelungen, die recht zahlreich vorkommen, mit Blick auf die Grundfreiheiten des EU-Vertrages ein gewisses Unwohlsein hervorrufen, ist den mit dieser Materie befassten Rechtsanwendern bekannt. Es dauert meist auch einige Jahre, bis sich der in seinen Rechten Verletzte durch den zunächst deutschen Instanzenzug bis nach Luxemburg geklagt hat. Dort angekommen, erhielt er oftmals Recht, sehr zum Verdruss der deutschen Finanzverwaltung und dem zur Korrektur gezwungenen deutschen Gesetzgeber. Jener steht seither in der unrühmlichen Tradition, dann, wenn er gezwungen, entweder Ausländer steuerlich ebenso gut zu stellen, wie Inländer oder Inländer ebenso schlecht zu stellen, wie Ausländer, sich für die letztgenannte Variante zu entscheiden. Diese Abhandlung möchte einen Überblick über den aktuellen Stand der Dinge geben.
Eine erste und richtungsgebende Grundsatzentscheidung war der Fall „Barbier“ (EuGH v. 11. 9. 2003, C-364/01), in welchem der EuGH erstmals entschieden hatte, dass er auch die Vorschriften des deutschen Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts den Maßstäben der europäischen Grundfreiheiten, namentlich insbesondere der Kapitalverkehrsfreiheit aus Art. 56 und 58 des EG-Vertrages entsprechen müssten. Seitdem hat es eine Reihe weiterer Entscheidungen gegeben, welche – jede für sich – die deutsche Besteuerung von Erb- oder Schenkungsfällen mit Auslandsbezug verändert hatten.
Zu nennen wäre hier der Fall „Mattner“ (EuGH, Urteil vom 22. 4. 2010 – C-510/08). Dort waren die Kläger des Ausgangsverfahrens deutsche Staatsangehörige, die seit vielen Jahren in den Niederlanden wohnten. Die Klägerin erwarb von ihrer Mutter im Wege der Schenkung ein in Deutschland belegenes bebautes Grundstück. Das Finanzamt wendete den seinerzeit geltenden § 16 Abs. 2 ErbStG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 27.02.1997) an und gewährte den Klägern statt eines damals für Inlandsfälle geltenden persönlichen Freibetrages in Höhe von 205.000 Euro nur einen verminderten Freibetrag in Höhe von 1100 Euro. Die festgesetzte Erbschaftsteuer erhöhte sich entsprechend. Der EuGH folgte in seinem Urteil den durch das Finanzgericht Düsseldorf erhobenen Bedenken, dass diese Regelung mit den Grundsätzen der Kapitalverkehrsfreiheit nicht im Einklang stehen könne.
Als Reaktion auf diese Entscheidung war der deutsche Gesetzgeber gehalten, eine EU-konforme Lösung zu finden. Er entschied sich für einen Mechanismus, der Steuerausländern die Option gewährte, sich wie Inländer besteuern zu lassen, allerdings nur auf Antrag, § 2 Abs. 3 ErbStG, eingeführt durch das „Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BeitrRLUmsG)“ vom 7.12.2011. In diesem Fall wären dann aber auch alle übrigen Erwerbe, welche der Beschenkte oder von Todes wegen Bereicherte von derselben Person erhalten hatte, zusammengerechnet worden, so dass – je nach Umfang der Vorerwerbe – am Ende doch ein geringerer persönlicher Freibetrag gewährt worden wäre. Voraussetzung für die Ausübung des Optionsrechts war aber, dass mindestens eine der beteiligten Parteien ihren Wohnsitz innerhalb der EU oder des EWR haben musste.
Kaum war die neue Regelung in Kraft gesetzt, entschied der EuGH den Fall „Welte“ (EuGH, Urt. vom 17. 10. 2013 – C-181/12). Hier ging es um inländisches Vermögen (Immobilien) und ein Schweizer Ehepaar. Der EuGH kassierte den nach der Entscheidung in der Sache „Mattner“ neu gestalteten § 16 Abs. 2 ErbStG, welcher immer noch für Fälle nur beschränkter Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht einen zwar erhöhten aber deutlich geringeren Freibetrag als bei Inlandsfällen gewährte (2000 Euro statt vorher 1100 Euro). Das neue Optionsrecht des § 2 Abs. 3 ErbStG konnte im Fall Welte nicht ausgeübt werden, da die Voraussetzungen nicht vorgelegen hatten.
Nur wenige Jahre später hatte der EuGH den Fall „Hünnebeck“ (EuGH, Urt. v. 8.6.2016 – C-479/14) zu entscheiden: Hier ging es um deutsche Staatsangehörige, die aber alle keine Inländer waren, d.h. im Zeitpunkt der Steuerentstehung (hier: Immobilienübertragung an Kinder) in Deutschland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten. Dem Grunde nach hätte hier der neue § 2 Abs. 3 ErbStG zur Anwendung kommen können, da alle Beteiligten ihren Wohnsitz in Großbritannien hatten. Es wurde aber vergessen, den Optionsantrag zu stellen, so dass das Finanzamt nur § 16 Abs. 2 ErbStG (Freibetrag: 2000 Euro) anwenden konnte und dies auch tat. Der EuGH entschied, ein wenig überraschend, dass eine Vorschrift, welche Steuervergünstigungen Steuerausländern nur auf Antrag gewährt, nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Dies war das Ende des Optionsrechts.
§ 2 Abs. 3 ErbStG wurde durch das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz – StUmgBG vom 23.06.2017 aufgehoben. Gleichzeitig wurde § 16 Abs. 2 ErbStG, betreffend die beschränkte Steuerpflicht, dahingehend modifiziert, dass ein verwandtschaftsabhängiger persönlicher Freibetrag im Umfang des § 16 Abs. 1 ErbStG (der für Inlandserwerbe gilt) nur anteilig entsprechend der Wertrelation des von der beschränkten Steuerpflicht erfassten Vermögens zum gesamten Vermögensanfall aus allen Zuwendungen zwischen denselben Personen innerhalb eines 10-Jahreszeitraums gewährt wird.
Diese Regelung war zwar noch nicht explizit Gegenstand eines EuGH-Urteils, das Gericht hatte aber anlässlich einer jüngeren Entscheidung (Entscheidung vom 21.12.2021) festgestellt, dass diese Regelung mit EU-Recht vereinbar wäre. In diesem jüngsten veröffentlichten Urteil geht es – ausnahmsweise – einmal nicht explizit um die persönlichen Freibeträge, sondern um die Frage, ob bei Vorliegen bloß beschränkter Steuerpflicht Belastungen, die einem Erben auferlegt werden, zum Beispiel die Ausbezahlung von Pflichtteilsansprüchen, zumindest anteilig auch von der Bemessungsgrundlage des Inlandsvermögens abgezogen werden können (EuGH, Urt. v. 21.12.2021 – C-394/20). Nach gegenwärtiger Rechtslage ist dies nur dann der Fall, wenn zwischen dem belasteten Wirtschaftsgut und der beantragten Abzugsfähigkeit ein wirtschaftlicher Zusammenhang besteht, der sich nicht erst durch den Erbfall ergeben haben darf (§ 10 Abs. 6 Satz 2 ErbStG). Nota bene: im Falle der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht wäre der Abzug kein Problem gewesen. Der EuGH sah darin einen Verstoß gegen das EU-Recht und stellte die Rechtswidrigkeit der betroffenen Norm fest.
Es ist derzeit noch nicht absehbar, wie der deutsche Gesetzgeber auf dieses Urteil reagieren wird. Betrachtet man die Entscheidungen zu § 16 ErbStG so darf man wohl davon ausgehen, dass man auf das Kriterium des „wirtschaftlichen Zusammenhangs“ nicht verzichten wird. So ist zu befürchten, dass vermutlich auch bei Inlandsfällen, bei denen der Abzug bislang unproblematisch war, neue Voraussetzungen definiert werden. So bleibt der deutsche Gesetzgeber zumindest seiner (ein wenig unrühmlichen) Tradition treu.
Insgesamt bleibt die weitere Entwicklung spannend. Für Rechtsanwender lohnt sich die regelmäßige Lektüre einschlägiger Fachzeitschriften – einschlägige Steuerbescheide sollten offengehalten werden.
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