Wie wird die Ethik durch die ständige Weiterentwicklung in der digitalen Kommunikation beeinflusst? Wie stellen Kommunikationsparteien ein gemeinsames ethisches Verständnis sicher? Und spielt Ethik bei diesen Entwicklungen überhaupt noch eine Rolle? Diese Fragen stellen sich vor allem für die zwischenmenschliche Kommunikation. Ethik und digitale Kommunikation stehen in einem engen Zusammenhang.
Von Prof. Dr. Patrick Peters, Professor für PR, Kommunikation und digitale Medien und Prorektor für Forschung und Lehrmittelentwicklung an der Allensbach Hochschule
Die digitale Kommunikation bezieht sich auf den Austausch von Informationen, Ideen und Nachrichten mithilfe von digitalen Technologien. Im Zeitalter des Internets und der fortschreitenden Digitalisierung ist die digitale Kommunikation zu einem integralen Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden. Dieser Fortschritt wirkt sich insbesondere auch auf die zwischenmenschliche Kommunikation aus. Auch Interpersonelle Kommunikation genannt, bezeichnet dieser Vorgang die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht und umfasst die Kommunikation beziehungsweise alle Kommunikationsprozesse unter der spezifischen Voraussetzung, dass Personen die Kommunizierenden sind. Das bedeutet also, dass Menschen Informationen und Gefühle durch verbale und nonverbale Botschaften austauschen.
Die Digitalisierung hat erheblichen Einfluss auf die zwischenmenschliche Kommunikation. Durch die Fortschritte in der Informationstechnologie und die Verbreitung des Internets haben sich die Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren, stark verändert. Das hängt auch damit zusammen, dass Wortbeiträge bekanntlich besonders dann überzeugen, wenn sie gezielt von Körpersprache, Mimik etc. unterstützt werden, sodass die nonverbale Kommunikation mit der verbalen Kommunikation im Einklang steht. Das folgt dem bekannten Eisbergmodell des Psychoanalytikers Sigmund Freud, der das Bewusste und Unbewusste in der Kommunikation im Bild des Eisbergs modelliert: Nur etwa 20 Prozent des Kommunikationsprozesses basieren auf Fakten und Informationen und sind damit sichtbar (bewusst). Der Großteil besteht aus Gefühlen, Stimmungen und Interpretationen und ist damit unsichtbar wie der größte Teil des Eisbergs unter der Wasseroberfläche (unbewusst).
In der digitalen zwischenmenschlichen Kommunikation nimmt dieser Faktor eine besondere Stellung ein, sowohl in jeder Form der privaten Kommunikation als auch bei jeder organisational getriebenen Kommunikation, beispielsweise bei einer Produkt- oder Dienstleistungskommunikation oder im Verkaufsgespräch. E-Mail, Sofortnachrichtendienste, Soziale Medien, Foren und Diskussionsgruppen, virtuelle Kollaborationstools und andere Medien bieten den Vorteil einer schnellen, effizienten und kostengünstigen, zeit- und raumunabhängigen Kommunikation. Allerdings bringen sie aufgrund der ‚Digitalisierung der zwischenmenschlichen Beziehung‘ das Problem auf, dass die Kommunikationspartner sich beinahe ausschließlich auf das Verständnis auf der bewussten Ebene nach Siegmund Freud verlassen müssen. Sie können aufgrund der digitalen Distanz kein Gespür für das Unbewusste entwickeln und entsprechende nonverbale Zeichen richtig deuten.
Das wirkt sich auch auf ethische Fragestellungen aus, denn Ethik und zwischenmenschliche Kommunikation sind eng miteinander verbunden. Ethik befasst sich bekanntlich mit moralischen Prinzipien, Werten und Normen, die das richtige Verhalten und die Interaktion zwischen Menschen bestimmen. Kommunikation hingegen bezieht sich auf den Austausch von Informationen, Ideen und Emotionen zwischen Individuen. In der zwischenmenschlichen Kommunikation spielen ethische Überlegungen somit eine wichtige Rolle, da sie bestimmen, wie wir miteinander umgehen, unsere Worte und Taten wählen und welche Auswirkungen sie auf andere haben können. Die Beachtung ethischer Prinzipien in der zwischenmenschlichen Kommunikation fördert ein positives und respektvolles Miteinander. Sie trägt dazu bei, Vertrauen aufzubauen, Beziehungen zu stärken und Konflikte zu lösen. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, wie unsere Kommunikation die Menschen um uns herum beeinflusst, und sich darum zu bemühen, ethisch verantwortungsbewusst zu kommunizieren.
So betont Ethik in der Kommunikation beispielsweise die Forderung nach Respekt vor den Meinungen und Gefühle, vor der Würde und Autonomie anderer Menschen und einen Umgang mit Achtung und Höflichkeit. Ebenso verlangt Ethik Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. In der Kommunikation sollten die Teilnehmenden daher bestrebt sein, die Wahrheit zu sagen und keine falschen Informationen zu verbreiten. Lügen oder Täuschungen können das Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen beeinträchtigen. Ethik ermutigt auch zur Entwicklung von Empathie und Mitgefühl für andere. In der Kommunikation bedeutet dies, dass die Teilnehmenden sich bemühen sollten, die Perspektive anderer Menschen zu verstehen und ihre Gefühle nachzuvollziehen. Durch empathische Kommunikation können Missverständnisse reduziert und Konflikte vermieden werden. Ethik legt dabei immer Wert auf Fairness und Gerechtigkeit. Das bedeutet in der Kommunikation, andere Menschen gerecht zu behandeln und niemanden zu benachteiligen oder zu diskriminieren. Zuletzt erfordert die Ethik der Kommunikation, Verantwortung für Worte und Handlungen zu übernehmen.
Die große Herausforderung der digitalen zwischenmenschlichen Kommunikation ist, diesen ethischen Anspruch konsequent zu erfüllen. Digitale Kommunikation ermöglicht es den Menschen, sich hinter einer gewissen Anonymität zu verstecken und eine gewisse Distanz zu wahren. Das mag Vorteile haben wie ein offeneres und ehrlicheres Teilen von Meinungen und Erfahrungen. Auf der anderen Seite kann dies aber auch zu einem rücksichtslosen Verhalten führen, da Menschen die Konsequenzen ihrer Worte und Handlungen möglicherweise weniger spüren. Damit werden die ethischen Grundbedingungen der zwischenmenschlichen Kommunikation verwässert und erschwert.
Es ist dabei nochmals wichtig anzumerken, dass die digitale Kommunikation ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Missverständnisse, auch im ethischen Sinne, können durch das Fehlen von nonverbaler Kommunikation entstehen, da Tonfall, Mimik und Körpersprache in digitalen Kanälen oft nicht sichtbar sind. Zwar können Menschen durch den Einsatz von Multimedia-Elementen wie Bildern, Videos, Emojis und GIFs ihre Gedanken und Gefühle auf vielfältigere Weise ausdrücken. Aber viele Intentionen bleiben unentdeckt im Freudschen Sinne unter der Wasseroberfläche, weil der direkte zwischenmenschliche Kontakt fehlt. Wenn mindestens 80 Prozent der Kommunikation unbewusst, also über Gefühle, Stimmungen, Interpretationen und den Eindruck nonverbaler Kommunikation verläuft, kommt ein Großteil des Verständnisprozesses in der digitalen zwischenmenschlichen Kommunikation abhanden, sodass ungewollte ethische Missverständnisse beinahe vorprogrammiert sind.
Laut Stuart Hall ist Kommunikation die Übertragung einer Nachricht von Sender:in A zu Empfänger:in B. Dafür sind die gleiche Kodierung und Dekodierung bei Sender:in und Empfänger:in notwendig, sonst entsteht eine Störung der Kommunikation beziehungsweise ein Missverständnis, will heißen: Der/die Absender:in kodiert (konstruiert) die Botschaft auf eine bestimmte Art und Weise, die von Bildungsstand, Wissen über das Thema, Weltanschauung und Absicht abhängt. Der/die Empfänger:in wiederum dekodiert die Botschaft (er/sie versucht also, den verwendeten Code zu entschlüsseln und die Botschaft zu verstehen) auf der Grundlage des eigenen Bildungsniveaus, der Weltanschauung und der Gefühle. Wenn B die Absicht von A interpretiert hat, leitet er/sie mit der Antwort einen neuen Kommunikationsprozess ein (diesmal in umgekehrter Richtung)
In der digitalen Kommunikation kann dieser Prozess von Kodierung und Dekodierung bei Sender:in und Empfänger:in schneller gestört sein als in der analogen Kommunikation. Schließlich vervielfältigen sich die Möglichkeiten der Verschlüsselung einerseits, etwa durch den Gebrauch von digitalen sprachlichen Codes und Symbolen, und andererseits gehen die Verständnisspielräume durch Mimik, Gestik und Co. verloren. Das wirkt sich in der Folge besonders auf ethische Aspekte wie Respekt, Ehrlichkeit und Empathie aus, um eine konstruktive und sinnvolle Kommunikation zu fördern. Der Blick in die Praxis zeigt nämlich, dass die typischen Spielregeln der gesellschaftlich anerkannten zwischenmenschlichen Kommunikation in der digitalen Welt nicht selten außer Kraft gesetzt werden: Anonyme Beleidigungen, Unaufrichtigkeit, verantwortungslose Aussagen etc. sind in der digitalen Welt die Regel, nicht die Ausnahme.
Das bedeutet für die Ethik und digitale Kommunikatio: Die Kantischen Formeln der Ethik „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte“ und „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“ spielen in der digitalen zwischenmenschlichen Kommunikation vielfach eine untergeordnete Rolle, und auch die Regel der Diskursethik nach Jürgen Habermas, dass „nur die Normen Geltung beanspruchen dürfen, die die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden (oder finden könnten)“ (Habermas, Jürgen (2018): Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln. 13. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, S. 103), wird gerne ignoriert.
Wenn also die Frage lautet, ob Ethik und digitale Kommunikation Partner oder Konfliktparteien sind, heißt die Antwort: Die digitale zwischenmenschliche Kommunikation zeigt häufig ein gestörtes Verhältnis zur Ethik. Aber es besteht kein natürlicher Konflikt. Die Kommunikationsparteien müssen ein gemeinsames ethisches Verständnis entwickeln, das die allgemein anerkannten, verbindlichen Spielregeln einer Gesellschaft aufnimmt und die digitale zwischenmenschliche Kommunikation als eine weitere übliche Kommunikationsebene anerkennen, die diesen Grundregeln nicht entzogen ist oder über diesen steht. Die ethischen Bedingungen der zwischenmenschlichen Kommunikation gelten auch bei der Digitalisierung von Kommunikation fort – und müssen in diesem Raum sogar noch stärker akzentuiert werden, um die Spielräume für Missverständnisse durch das Fehlen interpretierbarer nonverbaler Zeichen zu reduzieren.
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